Bewertungsgutachten für Honda Prelude Coupé: Die rote „Lüdia“ enthüllt ihre Geheimnisse
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Knallrot steht „Lüdia“ da. Das Honda Prelude Coupé, Baujahr 1987, mit Klappscheinwerfern und typischer Gummilippe am Heckabschluss trägt den Kosenamen schon lange – schließlich hat die betagte Pkw-Dame ihre Eigentümerin 38 Jahre und über mehr als 200.000 Kilometer durch dick und dünn begleitet. Das enge Band zwischen den beiden ist spürbar. Es lässt sich kaum vermeiden, dass es zuweilen zu vermenschlichten Ausdrucksweisen gegenüber dem Auto kommt. Genau diese Tatsache macht es der Menschenfrau nicht leicht, das rollende Objekt professionell begutachten zu lassen – da ist eine ordentliche Portion Gefühl mit im Spiel.
Am Anfang des Bewertungsgutachtens steht eine umfangreiche Bestandsaufnahme
Natürlich kennt Markus Becker dieses Verhalten gut: „Die anwesenden Auftraggeber weichen mir oft nicht von der Seite und möchten jedes Detail mitverfolgen.“ Der erfahrene Dekra-Oldtimer-Sachverständige scannt anfangs die Unterlagen ein: Restaurierungsnachweise, Angaben zur Historie und entsprechende Kfz-Dokumente. Schließlich beginnt eine erste Sichtprüfung, wobei grundsätzlich verlangt wird, das Fahrzeug nicht nur fahrbereit, sondern auch leer vorzuführen. Lächelnd erzählt Becker, es gebe durchaus Kunden, die mit rappelvollem Kofferraum kämen. Der solle jedoch geräumt werden, da er ja den gesamten Fahrzeugkörper einsehen müsse.
Mit seinem kleinen Fotoapparat hält er jede Störung fest: etwa im Innenraum das nicht mehr schließende Handschuhfach, eine sich lösende Seitenabdeckung oder den Warnblinkschalter, der nicht mehr am Originalplatz sitzt. Später wird er mit seiner Kamera den Zustand des Unterbodens dokumentieren. Unmissverständlich weist er vorher noch auf die Polsterpflege hin, die durchaus intensiver hätte betrieben werden können.
Starke Abweichungen bei der Lackdicke, das gibt Minuspunkte im Bewertungsgutachten
Nach ein paar Minuten wird während der Außenbetrachtung klar, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Becker attestiert „Lüdia“ auf den ersten Blick ein gepflegtes Auftreten: „Die Farbtiefe bekommt durchs einfallende Sonnenlicht zweifellos einen feinen Glanz.“ Dementsprechend ermutigt berichtet die Fahrzeugeigentümerin erfreut von einer Restaurierung des Lacks im Jahr 2004 – und dem sorgsamen Wetterschutz in einer Tiefgarage.
Aber als der Profi erst mit der Hand und dann per Messgerät entlang der Karosserie nachspürt, werden bei der Prüfung der Lackschicht-Dicke Spitzenwerte von 1550 µm ermittelt; normal wären in der Regel bis zu 160 µm: „Das gibt klare Minuspunkte im Bewertungsverfahren, denn ein gespachtelter Lackuntergrund arbeitet, und im Laufe der Zeit sind dickere Farbschichten anfällig für Risse.“
Man sieht der „Lüdia“-Fahrerin in diesem Moment der Wahrheit gewisse Zeichen der Desillusionierung an, denn damit hatte sie nicht gerechnet. Lächelnd kommentiert sie die Spezialuntersuchung mit den Worten: „Aber der Lack ist noch lange nicht ab!“ Allerdings schwant ihr nach einer recht untadeligen Überprüfung des Motorraums kurze Zeit später nichts Beruhigendes, als der Wagen in die Halle hinein auf die Hebebühne gefahren wird.
Das Bewertungsgutachten offenbart Licht und Schatten am Honda Prelude Coupé
Die guten Nachrichten aus dem später erstellten Gutachten zuerst: Vorder- und Hinterachse sowie Getriebe sind original, unrestauriert und befinden sich in einem guten bis gebrauchten Zustand. Undichtigkeiten sind nicht zu beanstanden.
Haariger wird es an verschiedenen Stellen, wo sich auch schnell der Unterschied zwischen den Bezeichnungen „gebraucht“ und „verbraucht“ zeigt, denn verschiedentlich weist Becker bei den originalen tragenden Bauteilen auf einen verbrauchten Zustand hin: „Suchen Sie besser demnächst einen Karosseriebau-Betrieb auf. Besonders an den Schwellern und der Abgasanlage sollten Beschädigungen, Durchrostungen und Korrosionsschäden möglichst bald instandgesetzt werden. Es ist wie beim Zahnarzt – je später man hingeht, desto komplizierter wird’s.“ Dass der Zahn der Zeit an dem Fahrzeug nagt, das nach Bekunden der Fahrerin mit Ausnahme versalzter Winterstraßen durchaus im Alltag bewegt wird, mag niemanden verwundern.
Auf ein H-Kennzeichen haben Ross und Reiterin bislang verzichtet. Mit einem Augenzwinkern fügt Letztere hinzu, „Lüdia“ wolle nach außen hin schließlich nicht zum alten Eisen gehören. Trotzdem sei es doch mal interessant, mithilfe eines Gutachtens eine konkrete Vorstellung zu erhalten, welchen theoretischen Wert die Jahrzehnte alte Gefährtin auf dem Catwalk verkörpern würde.
Den Schluss der Begutachtung macht eine Ausfahrt im Honda Prelude Coupé
So steht als abschließender Programmpunkt in der Begutachtungsstunde bei Dekra eine kurze Ausfahrt an. In deren Verlauf sind erfreulicherweise das Ansprechverhalten und die Leistungsentfaltung des Motors bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht zu beanstanden. Markus Becker erwähnt zudem, dass „das Getriebe sich ohne erhöhten Kraftaufwand und geräuschfrei schalten lässt“. An der Lenkung und dem Pedalwerk wird obendrein kein erhöhtes Spiel festgestellt. Die Betriebsbremse lässt sich gut dosieren, und die Bremswirkung ist gleichmäßig und tadellos. Es treten keine atypischen Geräusche auf. Diese und zahlreiche weitere Einzelheiten kann die Auftraggeberin wörtlich rund zwei Wochen später nach der Erstellung des 32-seitigen Gutachtens nachlesen.
Bewertungsgutachten listet detaillierte Prüfpunkte auf – am Ende steht die Gesamtnote
Insgesamt stehen 26 Bauteilgruppen auf der Prüfliste, die mit einzelnen Zustandsbeschreibungen und Noten bedacht werden. Am Ende gibt’s eine Gesamtnote – angelehnt an die klassischen Schulnoten-Beurteilungen:
- Note 1 makelloser Zustand, sehr selten;
- Note 2 guter Zustand, mängelfrei mit leichten Gebrauchsspuren;
- Note 3 gebrauchter Zustand, altersentsprechend, keine sofortigen Arbeiten nötig;
- Note 4 verbrauchter Zustand, nur bedingt fahrbereit;
- Note 5 restaurierungsbedürftiger Zustand, nicht fahrbereit.
„Lüdia“ erhält die Gesamtnote 3, womit augenscheinlich auch deren Eigentümerin zufrieden ist. Anhand von Beckers Recherchen privater sowie im Handel angebotener vergleichbarer Honda-Prelude-Modelle und der im Gutachten erfassten Feststellungen ermittelt er einen aktuellen Marktwert. An dieser Stelle besinnt sich die Oldtimer-Liebhaberin auf ein klassisches Verhalten innerhalb ihrer Privatsphäre: Sie genießt und schweigt.
Rollende Schätzchen auf dem Prüfstand
Für einen objektiven Blick auf Youngtimer und Oldtimer bieten Sachverständigen- und Prüforganisationen unterschiedliche Zustands- und Wertermittlungsgutachten an. Dekra teilt beispielsweise in folgende Gutachten auf:
Classic Check
Beim Classic Check konzentriert sich der Gutachter auf eine kompakte Beschreibung des Ist-Zustands eines Fahrzeugs. Es ist eine preiswerte Option, eine erste Einschätzung einzuholen. Das Produkt ist in erster Linie gedacht als Unterstützung bei der Annäherung an einen Kauf, kann aber auch bei einem Verkauf entsprechende Anhaltspunkte beinhalten. Eine Wertermittlung steht dabei aber nicht auf dem Plan.
Zustandsbericht
Der Zustandsbericht geht einen Schritt weiter. Denn hier wird der Zustand des Fahrzeugs dokumentiert – nicht nur in Worten, sondern auch mit entsprechendem Fotomaterial unterfüttert. Dies kann ebenfalls als Grundlage verwendet werden, um eine erste professionelle Einordnung des Fahrzeugs vorliegen zu haben. Denn aufgrund der Fotos werden auch etwaige Veränderungen bezüglich des Soll-Zustands verdeutlicht. Es gibt keine Aussagen zum Wert.
Bewertungsgutachten
Es beschreibt ausführlich und umfassend den Zustand des Fahrzeugs und dokumentiert ihn mit entsprechendem Fotomaterial; zusätzlich gibt es eine Fahrprobe. Als Basis dient eine Prüfliste mit 26 Bauteilgruppen. Aus deren Einzelnoten wird eine Gesamtnote errechnet. Um konkrete Aussagen zur nachvollziehbaren und marktgerechten Wertermittlung zu machen, beschäftigt sich der Gutachter eingehend mit Verkaufsangeboten und Auktionsergebnissen – und bezieht auch die Historie des Fahrzeugs mit ein.
Gutachten H-Kennzeichen
Nach §23 StVZO ist ein entsprechendes Sachverständigengutachten Voraussetzung für die Erteilung eines H-Kennzeichens. Infrage kommen dafür Fahrzeuge, die älter als 30 Jahre sind und die Kriterien für die Anerkennung als „kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut“ erfüllen. In vielen Fällen sind für Fahrzeuge mit H-Kennzeichen die Kosten für Steuer und Versicherung günstiger als bei einer normalen Zulassung.
Allerdings muss man dazu sagen: Fahrzeuge, die jetzt die 30-Jahre-Grenze erreichen, also Mitte der 1990er-Jahre erstmals zugelassen wurden, sind oft in Sachen Abgasreinigung schon so ausgestattet, dass ihre Zulassung mit einem H-Kennzeichen (verbunden mit einer pauschalen Ermittlung der Kfz-Steuer) nicht mehr unbedingt vorteilhaft sein muss. Hier empfiehlt es sich, genau hinzuschauen.
Drei Fragen an Andreas Lahne, Fachgebietsverantwortlicher Dekra Classic Services
Wann und zu welchem Zweck werden nach Dekra-Erfahrungen Klassiker-Gutachten in Auftrag gegeben?
Das ist sehr individuell. Grundsätzlich ist es für Besitzer klassischer Fahrzeuge wichtig, einen möglichst konkreten und aktuellen Anhaltspunkt zum Wert des jeweiligen Fahrzeugs zu haben. Spätestens wenn es darum geht, Schäden oder einen eventuellen Verlust des Fahrzeugs durch die Versicherung regulieren zu lassen, zeigt sich oft, wie gut es ist, ein aktuelles Wertgutachten eines Sachverständigen vorweisen zu können.
Das heißt, am besten kommt man in letzter Minute, wenn etwa ein Verkauf ansteht?
Keinesfalls. Denn nicht immer muss man bei einem solchen Gutachten vom Urgrund anfangen. Wir bieten auch an, ein einmal erstelltes Bewertungsgutachten in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Dann wird der aktuelle Zustand noch einmal mit dem im Gutachten beschriebenen Zustand abgeglichen und der Wert gegebenenfalls neu ermittelt. Dabei können sich natürlich Wertveränderungen in beide Richtungen ergeben.
Gibt es auch Kunden, die nach Ermittlung eines Gutachtens murren oder sogar Widerspruch einlegen?
Dass Auftraggeber mit dem Ergebnis eines Gutachtens am Ende nicht einverstanden sind, kommt natürlich vor. Allerdings legen unsere Sachverständigen Wert darauf, von Anfang an mit dem Fahrzeughalter im Gespräch zu sein, auch darüber, wie sie das Fahrzeug einschätzen und wohin die Reise im Gutachten ungefähr gehen wird. Es geht dabei darum, die Erwartungshaltung des Kunden wahrzunehmen und ihm schon frühzeitig eine Rückmeldung dazu zu geben.
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