Was passiert nach einem Hagelunwetter mit Reisemobilen?

3 min

21.02.2022Bettina Glaser

Extreme Wetterphänomene treten auch in Deutschland immer häufiger auf. An Reisemobilen hinterließen die Eiskörner von Hagelunwettern besonders kostspielige Spuren, die der ein oder andere Besitzer während des Winters hat beseitigen lassen. Ein Einblick.

 

Es war in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 2021, als im niederbayerischen Bad Füssing eine Unwetterfront aufzog. „Statt einzelnes ‚klack, klack, klack‘ auf dem Dach hörten wir nur noch ein ohrenbetäubendes Rauschen, so viele und große Hagelkörner kamen vom Himmel“, erzählen Urlauber auf einem Campingplatz in der Nähe von Bad Füssing hinterher. Als die riesigen Hagelkörner Dachhauben von Wohnwagen und Reisemobilen einschlugen, hätten sie vor Angst geschrien. Der Anblick, der sich den Urlaubern hinterher bot, ließ manchen erfahrenen Camper ordentlich schlucken: zertrümmerte Dachhauben, verdellte Campingfahrzeugdächer, eingeschlagene Solarzellen.

Mithilfe eines Streifensegels kann der Gutachter Dellen besser wahrnehmen und so Menge, Größe und damit den Reparaturaufwand genauer einschätzen. Foto: Bettina Glaser

Dellen-Begutachtung

Bevor ein Schaden repariert werden kann und z. B. ein Dach ausgetauscht wird, muss dieser der Versicherung gemeldet werden. Ein paar Wochen nach dem Unwetter in Bad Füssing wird so auch Erich Kronester, Gutachter beim Kfz-Sachverständigenbüro Noderer, von einem Versicherer zu einem der in Bad Füssing beschädigten Wohnmobile geschickt. 

#Als er oben auf der Leiter steht und das ganze Dach überblickt, entfährt ihm: „Oh weh, oh weh. Bei dem Ausmaß, was ich da sehe, ist erstaunlich, dass noch was da ist.“ Das Dach ist vollständig von tiefen Dellen übersät. Der Gutachter, der auf knapp 40 Jahre Erfahrung zurückgreifen kann, sagt: „Ich sehe viele Hagelschäden, auch bei Wohnmobilen, aber das hier ist schon enorm.“ 

Um den Schaden zu beurteilen, nimmt er ein Streifensegel zu Hilfe, ein gespanntes Tuch mit schwarz-weißen Streifen wie bei einem Zebra. Hiermit bricht sich das Licht so, dass die Dellen viel stärker zum Vorschein kommen. Vor allem auf der grauen Motorhaube kann Kronester dadurch die Tiefe und Anzahl besser beurteilen. Auf dem Dach des Wohnmobils ist das Streifensegel jedoch fast überflüssig. „Da brauche ich nicht viel schauen, man sieht es wunderschön“, sagt er. Auch die Wände und das Heck nimmt der Gutachter genauestens unter die Lupe, ebenso wie Standklimaanlage, Solarzellen und Dachhauben.

Drei Kategorien

Eingestuft wird ein Hagelschaden je nach Anzahl der Hageldellen pro Quadratmeter, Dellen-Durchmesser und Einschlagtiefe in die Kategorien leicht, mittel oder schwer. Berücksichtigt wird auch, ob es sich um beschädigtes Aluminium oder um GFK-Bauteile handelt. „Erfahrungsgemäß äußern sich die Hageldellen an GFK-Außenhäuten weniger tief als an Alu-Außenhäuten“, sagt Happel. Jedoch seien bei mittelschweren Hagelschäden anGFK-Außenhäuten vermehrt oberflächliche Risse, sogenannte Spinnenrisse, zu erkennen, die zwar mit bloßem Auge kaum feststellbar sind, aber mit Graphitpuder zum Vorschein kommen.

Um das Gutachten anzufertigen, werden die Kosten zweier Reparaturwege gegenübergestellt: auf der einen Seite die Instandsetzung durch Reparaturlackierung und auf der anderen Seite der komplette Austausch. Bei der Entscheidung hilft Gutachtern das Caravan-Reparatur-Handbuch des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) mit Tabellen, die speziell für die Hagelreparatur entwickelt wurden. Zum Vergleich: Ein Dachaustausch für ein Wohnmobil schlägt laut Frank Grimm, Teamleiter im Bereich Unfallinstandsetzung beim Erwin Hymer Center, mit 12 000 bis 15 000 Euro zu Buche, beim Spachteln und Lackieren ist es ungefähr die Hälfte. Bei starkem Hagelschlag – da sind sich die Experten einig – sind Spachteln und Lackieren technisch allerdings nicht einwandfrei möglich.

Reparatur oder Geld?

Über 70 Prozent der Hagelschäden werden fiktiv abgerechnet, weiß Happel, d. h. der Versicherungsnehmer bekommt von der Versicherung die im Gutachten genannte Schadensumme ohne Mehrwertsteuer ausbezahlt. Er gibt zu bedenken, dass hier bei eventuell auftretenden starken Nachschäden das nicht reparierte Bauteil für die Versicherung abgerechnet ist und danach keine oder nur eine teilweise Entschädigung erfolgt. „Gerade, wenn man den Wert erhalten und das Fahrzeug über Jahre fahren möchte, sollte man den Schaden reparieren lassen“, sagt Grimm vom Erwin Hymer Center. Und Happel rät: „Auf jeden Fall repariert werden sollten Hagelschäden, wenn diese an Aluminium-Bauteilen ab einer Kategorie mittlerer Stärke vorliegen oder wenn an der Außenbeplankung an GFK-Bauteilen sichtbare Beschädigungen auftreten. Hier können sich Risse in der GFK-Außenhaut bilden, welche sich im Laufe der Zeit durch Witterungsverhältnisse vergrößern.“ Feuchtigkeitsschäden könnten als Folge auftreten. Doch gerade bei einem Dach- oder Wandaustausch haben viele Wohnmobilbesitzer – laut Happel schätzungsweise 50 Prozent – Angst, dass der Aufbau undicht werden könnte. Damit das nicht passiert, rät der Sachverständige zu einer fachgerechten Reparatur, am besten im Werk.

Komplexer Eingriff

Im Erwin Hymer Center in Bad Waldsee am Standort des gleichnamigen Wohnmobilherstellers werden jeden Monat ein bis zwei Hageldächer ausgetauscht. Die Werkstatt ist für die nächsten Monate bereits ausgebucht, die Kunden kommen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland. Wie wichtig es ist, dass jeder Handgriff sitzt, wird schnell deutlich, wenn man Thomas Huber und Sabit Lutoli bei den Vorbereitungen für einen Dachaustausch beobachtet. Befände man sich nicht in einer riesigen, hell beleuchteten Werkstatthalle mit mehreren Wohnmobilen, sondern auf einem dunklen Parkplatz, könnte man meinen, Verbrecher wären am Werk – konzentriert dabei, das Campingfahrzeug in seine Einzelteile zu zerlegen.

Über 90 Prozent der Kabinenaufbauten von Wohnwagen und Wohmobilen werden in Sandwichbauweise gefertigt: Das Außenblech oder die GFK-Außenhaut ist mit dem Isoliermaterial verklebt. Foto: Bettina Glaser

Genau das ist zum Teil nämlich zunächst einmal während der insgesamt 55 Arbeitsstunden nötig. Huber und Lutoli lösen die Markise, die später wieder verbaut wird, ziehen die Fugenabdeckprofile ab und schneiden die Dichtmasse mit einer oszilierenden Säge heraus. „Hymer ist sehr reparaturfreundlich. Da kann man Dach und Wände problemlos tauschen“, erzählt Huber. Dennoch: Jedes Fahrzeug ist anders. Das wird klar, als Lutoli Schraube für Schraube unter den Abdeckungen in den Schränken im Innenraum des Wohnmobils sucht und löst. „Wenn du eine Schraube vergisst, reißt sie dir alles raus“, erzählt er. Mit einem Eisen heben die beiden im Innenraum vorsichtig das Dach an. Um es endgültig abzunehmen, greift Huber noch einmal zur oszilierenden Säge.

Dann kommt der große Moment: Mit tellergroßen Saugnäpfen eines mobilen Krans saugen die beiden das Dach an und heben es ab. „Jetzt machen wir ein Cabrio draus“, sagt Lutoli und grinst. Im nächsten Schritt bauen die beiden die noch intakten Dachhauben und Winkel ins neue Dach um und bringen es mithilfe von Spanngurten in die gewünschte Krümmung. Wenn alles fertig verklebt, verschraubt, abgedichtet und getrocknet ist, kommt das Fahrzeug für eine Stunde in die Beregnungsanlage. „Nach der Reparatur gibt es eigentlich nie Probleme mit der Dichtigkeit. Im Gegenteil: Ältere Wohnmobile sind in ihrem Fugenaufbau dann dichter“, berichtet Teamleiter Grimm.
 

Fotos: Bettina Glaser (8), EHC Bad Waldsee (1)

So gehen Fahrzeugbesitzer nach einem Hagelschaden vor:

  • Den Schaden z. B. mit Fotos und Videos dokumentieren; Tag, Uhrzeit und Ort des Hagelschadens notieren.
  • Eingeschlagene Dachhauben, Scheiben etc. abdecken, damit das Wohnmobil nicht noch zusätzlich durch Regen beschädigt wird. Der Halter ist verpflichtet, den Schaden möglichst gering zu halten, sonst kann die Versicherung Leistungen kürzen.
  • Den Schaden umgehend telefonisch, per Fax, E-Mail oder Brief der Versicherung melden mit Tag, Uhrzeit und Ort des Hagelschlags.
  • Meist schaltet die Versicherung einen Gutachter ein, um Art der Reparatur und Schadenumfang zu ermitteln.
  • Erst dann kann der Hagelschaden in einer Werkstatt repariert oder fiktiv abgerechnet werden.

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