Spaniens Wilder Westen: Eine Zeitreise in die Extremadura
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Wildblumen, Steppengras und gewaltige Stein- sowie Korkeichenbäume zeichnen die Landschaft der Extremadura aus. „Dehesa“ wird sie genannt. Schafe ziehen mit ihren Hirten durch das weite, noch heute dünn besiedelte Land. „Wandernde Herden, die den Staub der Wege beschatten und ihre Sonne vergolden“, notierte der große spanische Poet Antonio Machado (1875-1939).
Und überall segeln Störche. Auf manchem Dach erhebt sich ein halbes Dutzend der Kinderstuben von Meister Adebar. Ab und zu fliegen die Vögel aus und holen einen Happen für ihre Jungen aus den Seen und Flüssen rundum. Die Extremadura liegt auf der westlichen Zugvögelroute nach Afrika, doch viele der Vögel bleiben inzwischen ganzjährig dort.
Die Extremadura, im Westen Spaniens gelegen, galt einst als bettelarm. Ende des 15. Jahrhunderts aber bot sie einmalige Karrierechancen. Kein anderer Landstrich Spaniens hat mehr Söhne als Konquistadoren nach Amerika geschickt. Reich und geadelt kehrten die Haudegen zurück und ließen bauen. Stein auf Stein wuchsen die prunkvollen „Casas Palacio“ in die Höhe. Bis heute sind sie prächtig erhalten und bilden immer wieder eine perfekte Kulisse für Historienfilme.
Wiege der Konquistadoren
Von Madrid auf der stets fast leeren Autobahn A 5 Richtung Badajoz kommend, erhebt sich Trujillo als erstes Kleinod aus der weiten Ebene des Weidelandes. Der Name dieser kleinen Stadt mit nur rund 10.000 Einwohnern findet sich gleich mehrmals auch in Ländern Mittel- und Südamerikas. Kein Wunder, denn hier stand die Wiege der Konquistadoren, die für die spanische Krone die „Neue Welt“ jenseits des Atlantiks eroberten und unterjochten. Der wohl berüchtigtste dieser Feldherren war Francisco Pizarro. Auf einem Pferd voraus stürmend erhebt er sich mehr als lebensgroß als Standbild auf der Plaza Mayor.
Rund um den Hauptplatz erheben sich die stolzen Renaissancepaläste der Konquistadoren, hügelan dominiert das Mittelalter in den schmalen Gassen und über aller Herrlichkeit thronen die imposanten Reste der maurischen Festung Alcazaba. Von hier aus geht der Blick an klaren Tagen bis zu dem Naturjuwel des Nationalparks Monfragüe.
Noch prunkvollere Beispiele ritterlicher Architektur finden sich im nur 50 Kilometer entfernten Cáceres. Kein Reklameschild, kein Schaufenster, keine sonstige Installation der Moderne stört das Ensemble der Altstadt, das 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe der Menschheit erklärt wurde. Doch Cáceres ist eine lebendige Stadt mit rund 96.000 Einwohnern, davon etwa 10.000 Studenten. „Die ganze Stadt ist als Vogelschutzgebiet erklärt worden, denn in ihren Mauern brüten die extrem seltenen Rötelfalken“, erklärt Javier Sánchez, der Führungen durch Cáceres in exzellentem Deutsch anbietet.
Eine Seniorenresidenz für Legionäre
Den schönsten Blick auf das Ensemble historischer Mauern bietet der Bujaco-Turm. Stolz prangen die Familienwappen über den Portalen der Paläste. Am prächtigsten präsentiert sich der im 15. Jahrhundert erbaute Palacio de los Golfines. Der spanische Ausdruck „Golfo“ für Schurke soll sich von dieser Raubritterfamilie ableiten. In eben diesem Gebäude ließ sich Franco zum Staatsoberhaupt deklarieren.
Noch weiter zurück führt die Zeitreise in Mérida. „Spanisches Rom“ wird die Stadt oft genannt. Tempel, Theater, Thermen – an nichts fehlte es den alten Kämpfern der siegreichen Legionen. Um 25 vor Christus ließ ihnen Kaiser Augustus die Stadt als eine Art Seniorenresidenz errichten. 40.000 Einwohner zählte die elegante Metropole Emerita Augusta damals. Das heutige Mérida hat knapp 60.000 Bewohner und ist die Hauptstadt der Extremadura.
Der „Puente Romano“ über den Río Guadiana ist vollständig intakt. Über fast 800 Meter spannen sich die Bögen der längsten aus der Antike erhaltenen Brücke weltweit dahin. Der Verkehr rollt inzwischen allerdings über eine moderne Stahlkonstruktion von Stararchitekt Santiago Calatrava in die uralte Stadt, die überall mit Resten aus der glanzvollen römischen Epoche durchsetzt ist.
Die Flaneure biegen um eine Ecke und stehen unversehens vor einem Dianatempel, Teilen des Forums oder einem Aquädukt. Das schönste Stück ist freilich das Theater mit doppelstöckigen korinthischen Marmorsäulen. Gleich nebenan liegt das ovale Amphitheater. Ganz in der Nähe finden sich die Überreste luxuriöser römischer Villen mit herrlichen Mosaikfußböden.
Genuss in urigen Tapas-Bars
Die Präsentation von weiteren Ausgrabungen, Statuen, Münzen und kostbarem Schmuck erfolgt in einem modernen Museumsbau. Doch der Mensch lebt nicht von der Kunst allein. In unmittelbarer Nachbarschaft des Museo de Arte Romano ist für kulinarische Stärkung gesorgt, reihen sich die Tapas-Bars mit Käsespezialitäten und dem köstlichen Eichelschinken Jamón de Bellota, für den die Region berühmt ist. Am Abend treffen sich die Einwohner auf der Plaza Mayor, dem öffentlichen Salon der Stadt. In jeder Ecke der Plaza findet sich ein Terrassencafé, in der Mitte sprudelt ein Brunnen.
Jenseits ihrer historischen Städte war die Extremadura lange ein armes Land, dessen Bauern unter elenden Bedingungen lebten. Buñuels Film „Tierra sin Pan“ (Land ohne Brot) aus dem Jahr 1933 gibt Zeugnis davon. Als die ersten spanischen Industriezentren entstanden, setzte eine Landflucht ein.
Damit sich die Region nicht entvölkerte, griff das Franco-Regime eine schon zuvor von der Republik entwickelte Idee auf, als „Plan Badajoz“ und „Plan Cáceres“ umgesetzt. Stauseen wurden gebaut, von dort und von den Flüssen überall Bewässerungskanäle abgezweigt. Der Landadel wurde zum Teil enteignet und sogenannte Siedlerdörfer wurden gegründet. Mehr als 60 solcher „Pueblos de colonización“ finden sich in der Extremadura.
Zwischen 1949 und 1964 entstanden so „auf der grünen Wiese“ komplette architektonische Ensembles namhafter Architekten. „Hier war zuvor buchstäblich gar nichts, kein Wasser, kein Strom, kein Haus“, erzählt das Ehepaar Maria und Rafael Talavante vor der kleinen Cafébar im Dorf Tiétar. Als blutjunge Siedler lernten sie sich kennen, seit 60 Jahren sind sie nun bereits verheiratet.
2023 schlossen sich diese Dörfer unter dem neuen Label „Pueblos de Luz“ zusammen. Eine aufwendige, mehr als 80-seitige Broschüre wurde aufgelegt, mehr als ein halbes Dutzend sogenannte „Rutas de Luz“ ausgewiesen. Leider gibt es diese Broschüre nur auf Spanisch. Reisende sollten sich davon nicht entmutigen lassen. Für Liebhaber moderner Architektur aus der Mitte des 20. Jahrhunderts sind diese „Dörfer des Lichts“ ein echter Geheimtipp.
Unbedingt sehenswert ist Vegaviana, der emblematischste dieser Orte. Architekt José Luis Fernández del Amo hat hier ein überaus lebenswertes Ensemble geschaffen. Die weiß gekalkten Siedlerhäuser gruppieren sich um schattige Haine aus Stein- und Korkeichen. Rosenstöcke und Granatapfelbäume säumen die Straßen. Wenn im Mai die Fiesta der Heiligen Fátima und des Bauern-Schutzheiligen San Isidro gefeiert wird, versammeln sich Tausende Besucher zur Prozession.
Das ganze Dorf steht unter Denkmalschutz. Vegaviana hat Cafés und Restaurants, was nicht mehr überall in den Pueblos de Luz der Fall ist. Und die Zeiten, in denen Heerscharen von Siedlerkindern durch die Gassen tobten, sind längst vorbei. Geblieben sind vor allem die Alten, die vor Jahrzehnten hier die Landwirtschaft aufgebaut haben. Übernachtungsmöglichkeiten für Reisende gibt es kaum in den Dörfern. „Die Pueblos lassen sich jedoch gut von den historischen Städten aus anfahren und mit diesen kombinieren“, so Patricia Moreno von Extremadura Turismo.
„Ohne die gut ausgebauten Fernstraßen und die Autobahn wären wir auch heute von der Abwanderung bedroht“, erklärt Justo Barrantes, der Bürgermeister von Torrefresneda. Die gebührenfreie „Autovía del Suroeste“ führt nur einen Steinwurf vom Dorfplatz vorbei.
Das Leben ist bequemer geworden in der Extremadura, deren Name sich übrigens nicht von „extrem hart“ herleiten soll, sondern schlicht „jenseits des Duero“ meint. Südlich dieses Flusses beginnt er, der wilde Westen Spanien.
„Privat sowie als Buchautorin und Reisejournalistin habe ich die iberische Halbinsel immer wieder erkundet und dafür mehrere Journalistenpreise erhalten. Eher wenig bekannten Regionen wie der Extremadura galt dabei mein besonderes Interesse.“
ARCD-Reiseservice Extremadura
Anreise
Nach Madrid von mehreren deutschen Städten z. B. mit Air Europa, Iberia oder Lufthansa (ab ca. 200 € für Hin- und Rückflug). Von dort per Mietwagen weiter (250 bis 300 km, durchgehend auf guten Schnellstraßen).
Unterkunft
- Cáceres: Hotel NH Palacia de Oquendo, 4 Sterne in historischem Bau, www.nh-hotels.de
- Mérida: Ilunion Mérida Palace, 5 Sterne in Renaissance-Palast an der Plaza Mayor, https://de.ilunionmeridapalace.com
- Trujillo: Parador de Trujillo, 4 Sterne in einstigem Klosterbau, www.paradores.es/de
Reiseliteratur
„Extremadura“ von Jürgen Strohmaier, DuMont-Reisetaschenbuch, ISBN 978-3770174515.
Erleben
Kombiticket für alle römischen Monumente in Mérida 16 €. Stadtführungen in Cáceres mit Javier Sánchez unter www.guiadecaceres.com
Weitere Infos
- www.spain.info (Suchwort: Extremadura),
- www.stadtlandextremadura.de
- www.turismoextremadura.com (nur auf Spanisch und Englisch)
- www.juntaex.es/w/turismo-rutas-de-luz
ARCD-Reiseangebote für die Extremadura
Das ARCD-Reisebüro hat Rundreisen durch die Extremadura mit verschiedenen namhaften Veranstaltern im Angebot.
Unsere Experten informieren Sie gerne unter
Tel. 0 98 41/4 09 150 oder info@arcd-reisen.de
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