Sommermärchen im Trentino
3 min
Es ist Sommer in Norditalien. Der Beton ist aufgeheizt. Die Luft steht. Aber nicht für mich, denn mir bläst der Fahrtwind entgegen. Zudem hat der Radweg zwischen Trento und Rovereto, der größten und zweitgrößten Stadt des Trentino, eine natürliche Klimaanlage: Er verläuft nämlich entlang der breiten Etsch und die kühlt die Luft merklich. Mein Plan: Mit dem Rad die Ecke Italiens erkunden, an der man sonst vorbeifährt. Urlaub machen, wo andere weitereilen – nach Verona, nach Pisa, nach Florenz oder zumindest bis an den Gardasee.
Die Provinz ist bekannt für ihre vielen Seen. Die oberste Spitze des Gardasees gehört streng genommen auch zum Trentino, aber das verdränge ich jetzt lieber. Wo doch das Unbekannte wartet. Die übersehene Schönheit. Und hoffentlich viel Abkühlung – in Seen, Bächen, Eisdielen und hinter Burgmauern.
Hebe ich den Kopf, sehe ich auf einem Bergrücken schon eins der trutzigen Gemäuer sitzen: das Castel Beseno. Omnipräsent sind auch die Weinberge. Für die muss man nicht nach oben schauen, sie liegen dem Radfahrer zu Füßen, füllen quasi das weite Tal, während sich der Etschtal-Radweg oft auf einem Damm hindurchzieht.
Abkühlung in der Eisdiele
Das Trentino war mal eine der ärmsten Provinzen Italiens, jetzt gehört sie zu den reichsten. Der Lebensstandard ist hoch, die Menschen beschäftigen sich viel mit ihrer Freizeitgestaltung, sind aktiv. So begegne ich vielen Einheimischen. Wir teilen uns den Radweg außerdem mit den ganz Sportlichen: Trainingsgruppen auf Rennrädern, die geradezu an einem vorbeifliegen.
Zeit für eine Abkühlung. Die Eisdiele Zenzero liegt am Ortseingang von Rovereto, direkt am Radweg. Eröffnet haben sie vor 13 Jahren Gianni und Mara, weil sie fanden, es sei der perfekte Ort für eine Eisdiele. Unter Bogendecken stehen Tischchen, an der Wand eine Italien-Karte, die anzeigt, woher die Zutaten kommen: Haselnüsse aus dem Piemont, Pistazien von Sizilien. Sie nutzen keine Konzentrate, machen alles aus frischen Früchten von kleinen Bauern. „Im Winter gibt es halt kein Erdbeereis“, sagt Gianni. Aber jetzt ist ja zum Glück Sommer.
Souvenirgeschäfte sucht man in Trento vergebens
Erfrischt und gestärkt breche ich wieder auf. In die Altstadt von Rovereto hinein geht es am Leno entlang – glasklar fließt er, teils in breiten Kaskaden. Ich radle zum anderen Ende, denn dort steht das Mart Museum für Moderne Kunst, erbaut vom Stararchitekten Mario Botta. Im riesigen Innenhof unter einer offenen Kuppel kann ich verschnaufen. Ich finde, der Sommer ist die perfekte Zeit für coole Gebäude. Dazu passt am Nachmittag, zurück in Trento, das naturkundliche Museum Muse, geplant von Renzo Piano.
Zu Goethes Zeiten nannte man Trento „die bemalte Stadt“, wegen der vielen schönen Fresken an den Fassaden. Der deutsche Dichter allerdings war nicht so begeistert. Er sagte: Es gibt nur ein schönes Haus in Trento, das Fugger-Haus. Doch er war gerade mal eine Stunde zu Besuch, also auch einer von denen, die nur auf der Durchreise sind.
Übersehen oder verkannt zu sein, kommt den Trentinern ganz gelegen. Schließlich haben sie den Overtourism von Venedig fast vor der Nase. Hier dagegen gibt es kein einziges Souvenirgeschäft, dafür ohne Ende Orte, an denen man Kaffee trinken, Eis essen oder einen Aperitivo nehmen kann. Und einen, an dem man alles drei kann: das „Casa del Caffè“ ist Rösterei, Café und Bar.
„Manchmal ist der Name Programm“, sagt der Chef und stellt sich vor: Luca Torta, also Kuchen auf Deutsch. Und was empfiehlt er? „Ich lasse mich von den Menschen inspirieren!“ Wie ein guter Barkeeper. Wir sind zu dritt und bekommen: einen Kaffee mit Lakritz, einen mit Amarenawein und Mandelsirup, einen mit Kaffee-Eis. Selbstverständlich alle kalt.
Am nächsten Tag geht es von Trento aus Richtung Osten ins Valsugana-Tal, zunächst nach Levico Terme, einem alten Thermalort. Am Lago di Levico hat sich vor dem Parkautomaten eine Schlange gebildet. Alle wollen baden. Noch ist es früh am Tag und man spürt die Kühle des Wassers und der Wälder außenherum. Bislang brauche ich keine Abkühlung, aber ein Kaffee am Strandkiosk muss sein.
“Oberhalb von Borgo bade ich im Fluss. Das Wasser ist eiskalt. Und klar.”
Aperitivo auf einer Burg
Dann mache ich Strecke. Das geht easy, denn der Radweg läuft eben und gut ausgebaut durch Wiesen und Felder, vorbei an Weinbergen, die heute wirklich Berge sind.
In Marter bei einer alten Mühle halte ich die Füße ins Wasser. Wasserstand und Fließgeschwindigkeit sind hoch. Es zieht richtig an den Waden. Es wäre irre, hier hineinzuspringen. Also weiter.
Allmählich wird es heiß. Das Timing ist gut, denn oberhalb von Borgo ist Baden im Fluss möglich. Es ist eiskalt. Und klar.
Hinauf nach Roncegno Terme, dann sause ich hinunter nach Borgo Valsugana. In der Luft tanzen die Wattebüschel. Wer beim Fahren die Hand ausstreckt, kann Wiesenblumen abklatschen. Borgo liegt in sommerlicher Nachmittagspause, ein Jahrmarkt wartet auf den kühlen Abend. Jetzt suchen alle das Wasser. Also auf zum Caldonazzosee, dem kleinen Gardasee, wie die Leute sagen. Wir kürzen ab durch den Wald – auch im Schatten gibt es Radwege. Und springen abseits der Strände hinein.
Fast fühlt es sich so an, als hätte ich das Tagesziel erreicht. Doch dem ist nicht so. Es geht sogar noch steil bergauf, denn für den heutigen Aperitivo habe ich mich auf einer Burg verabredet, dem Castel Pergine. Außen Festung, innen eher herrschaftlich, weil es Kaiser Maximilian im 16. Jahrhundert schon für seine Jagdgäste bequemer einrichten ließ.
Heute ist es das einzige historische Gut Italiens in Gemeinschaftsbesitz. Eine Stiftung mit mehr als 800 Sponsoren hat es 2018 von privat gekauft. Es ist sowohl Kulturort wie auch Hotel, aber kein Luxushotel. Es ist alles basic.
„Wer hier übernachtet, will es so“, sagt Christina Eberle, die die Burg managt. „Manche kommen mit dem Porsche, andere mit dem Fahrrad. Ganz egal.“ Ich bin die Fraktion Fahrrad und freue mich über den frischen Wind hier oben, die eisigen Burgmauern und kalten Getränke. Und darüber, dass ich nicht am Trentino vorbeigefahren bin.
„Mir war schnell klar, dass das Trentino völlig zu Unrecht von Touristen übersehen wird – und zugleich war ich ihnen dankbar dafür.“
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Das Trentino liegt zwischen Dolomiten und Gardasee. Seen und Wälder prägen die Landschaft. Mehr als 400 Kilometer Radwege sind ausgewiesen.
Die Gegend ist mit Auto und Zug gut zu erreichen.
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