Im Land der tausend Hügel
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„Manchmal ist die kleine Schwester die hübschere“, sagt Tung Nguyen. Der begeisterte Hobbyfischer, der im Hauptberuf in Cát-Bà-Stadt Mopeds vermietet, blickt auf die Lan-Ha-Bucht, die sich südlich der berühmten Halong-Bucht im Golf von Tonkin erstreckt. Fast 400 grün bewachsene Kalksteininseln ragen hier steil aus dem türkisfarbenen Meer. Davor dümpeln einsame Fischerboote, deren Insassen vietnamesische Kegelhüte auf dem Kopf tragen, als Schutz vor der Sonne.
Bunte Dörfer, die auf vertäuten Pontons und Holzflößen schwimmen, ducken sich zwischen die Felsen. Ihre Einwohner leben von Aquakultur und dem, was ihr Restaurant oder Home-stay abwirft. Manchmal paddelt eine Gruppe Touristen in quietschgelben Kajaks vorbei auf dem Weg zu einer der befahrbaren Meereshöhlen. Oder eine Ausflugsdschunke, die Besucher staunend auf dem Sonnendeck, steuert auf einen der goldenen Sandstrände mit Namen wie Buddha- und Monkey-Beach zu.
„Die Halong-Bucht zählt schon seit Längerem zum UNESCO-Weltnaturerbe. 2023 ist das Cát-Bà-Archipel, zu dem die Lan-Ha-Bucht gehört, dazugekommen, wegen der herausragenden Naturlandschaft“, erzählt Nguyen stolz.
Auf Cát-Bà-Island, der größten Insel, wechseln sich Bauernweiler mit dichtem Dschungel ab. Kein Wunder, macht doch die Hälfte des Eilands der gleichnamige Nationalpark aus - ein Paradies für endemische und seltene Arten. Wir wollen das Eiland mit dem Moped erkunden, nehmen einfach die Straße von Süd nach Nord mitten über die Insel.
Per Moped ins Naturparadies
Sie startet in Cát-Bà-Stadt, an deren einstiger Küstenstraße sich die Traveller, die aus aller Herren Länder angereist sind, in den Restaurants, Cafés und Hotels treffen. Zwar plant die Regierung derzeit aus Cát-Bà-Island die erste CO2-freie Tourismusinsel Vietnams zu machen und Cát-Bà-Stadt soll den Vorgeschmack liefern. Dafür hat man die vorgelagerte Bucht mit Sand aufgeschüttet, will darauf Grünanlagen, Fußgängerzonen, öffentliche Einrichtungen und einen hochmodernen Strand etablieren. Doch bis im Jahr 2026 die Arbeiten beendet sein sollen, dauert es noch eine Weile.
Uns zieht es daher ins ruhigere Umland. Wir sehen dort handgroße Schwalbenschwanz-Schmetterlinge, wie sie sich an den bunten Blüten der Wandelröschen laben. Wir erfreuen uns an einer Gruppe Cát-Bà-Languren, eine vom Aussterben bedrohte Spezies, die durch das Dschungeldickicht tobt. Den schlanken Cát-Bà-Tigergecko können wir nur erahnen. Die nachtaktiven Geckos entdeckte ein deutsch-vietnamesisches Forscherteam erst vor 18 Jahren in Kooperation mit dem Kölner Zoo. Seitdem setzt es sich für den Erhalt der stark gefährdeten Reptilien ein.
In der Trung-Trang-Höhle staunen wir über die weißen Felsformationen, die wie überdimensionale Korallen kopfüber von der Decke hängen. Den schönsten Blick auf die grüne Küstenregion, deren Inseln wie hunderte Maulwurfshügel aus dem Meer ragen, haben wir vom Cannon Fort, das französische Kolonialisten in den 1940er-Jahren auf einem Hügel erbauten, von dem aber außer militärischen Tunneln und Kanonen nicht viel übrig ist.
„Früher gab es auf Cát-Bà viele Reisfelder. Heute haben wir dafür zu wenig Süßwasser. Deshalb leben die Bauern von der Tierzucht, ziehen Muscheln und Tintenfisch im Golf, Ziegen, Rinder und Wasserbüffel auf Feldern an Land auf. Alles, was wir gerne essen“, ergänzt Tung Nguyen, als wir das Moped zurückbringen.
Mopeds sind in Vietnam allgegenwärtig. Nirgendwo fahren mehr als in der Hauptstadt. Sieben Millionen Stück sollen in Hanoi durch die von alten Flammenbäumen und französischen Kolonialhäusern gesäumten Gassen düsen. Fast so viele wie Einwohner. Vater vorne, Mutter hinten, dazwischen das Kind. Sie brausen zum Spaziergang am Westsee, zum Gebet an der Einsäulenpagode, zum Literaturtempel, um die zwei Meter großen Bronzekraniche zu streicheln. Das soll Glück bringen.
Von Hanoi in den hohen Norden
Wir setzen uns in ein Café, genießen Hanois Spezialität Egg Coffee, ein Getränk aus Eigelb, Zucker, Kondensmilch und Robusta-Kaffee, und beobachten das Treiben. Ganze Moped-Trupps ziehen hupend an uns vorbei. Touristen lassen sich von alten Männern auf Sightseeing-Dreirädern chauffieren. Marktfrauen schieben ihre mit Lilien übervoll beladenen Fahrräder umher, in der Hoffnung eine Blume oder sogar einen ganzen Strauß an den Mann zu bringen.
Aus der Garküche nebenan duftet es verführerisch nach der vietnamesischen Nudelsuppe Pho. Die Betreiber bewirten ihre Gäste, wie in Vietnam üblich, an Kinderplastiktischen und -stühlen auf dem Gehweg. Damit zumindest am Wochenende etwas Ruhe einkehrt, sperren die Stadtverantwortlichen die Straßen rund um den Hoan-Kiem-See. Das freut die geplagten Städter, die das Ufer des Stadtgewässers nutzen, um zu picknicken und die Karpfen im Wasser zu füttern.
Auf dem Weg in den äußersten Norden, der bereits an China grenzt, und den die meisten Touristen wegen der Straße, die kaum breiter ist als vier Blatt Papier, mit dem Motorrad bereisen, präsentiert sich Vietnam noch als das Land, das vielerorts schon der Moderne zum Opfer gefallen ist. Dort liegen Maiskolben am Straßenrand zum Trocknen aus. Wir erspähen Greise, die armlange Messer für die Feldarbeit zum Verkauf anbieten. Männer transportieren lebendige Schweine auf dem Gepäckträger ihres Mopeds. An den schlichten Lehmhäusern wehen so viele rote Nationalflaggen, als würde die Kommunistische Partei für das Aufhängen eine Gebühr zahlen, so wie der Baumarkt für das Werbeschild am Gartenzaun.
Nicht nur an der Küste, auch im hohen Norden wachsen hunderte grüne Karstfelsen in den Himmel. Im Dong Van Karst Plateau UNESCO Global Geopark rauschen glasklare Flüsse durch tiefe Schluchten. Die Straße windet sich über aussichtsreiche Pässe in Serpentinen bergauf und bergab. In einsamen Tälern kauern Dörfer der Hmong- und Dao-Minoritäten. Eins davon ist das Nam Dam Dao Cultural Village. „Vor zehn Jahren haben die lokalen Behörden beschlossen, in unserem Dorf den Tourismus anzukurbeln“, erzählt Phan Thi Chang. „Sie erklärten uns, dass Touristen nicht nur eine Unterkunft suchen, sondern unsere einzigartige Kultur kennenlernen wollen“, sagt die 43-jährige Dao-Frau. Heute lebt das einst arme Bauerndorf vom Tourismus.
Urlaub bei den Dao-Bauern
Die Hälfte der fast 70 Familien hat Gästezimmer im Obergeschoss ihres traditionellen Hauses eingerichtet. Um den Dao-Alltag möglichst eindringlich zu vermitteln, tragen die Einwohner ihre schwarze Tracht, die mit knallroten Bordüren verziert ist, von morgens bis abends. Sie kochen Original-Dao-Gerichte auf dem heißen Ofen, wie es schon ihre Vor-Vorfahren taten. Sie nehmen die Besucher mit auf ihre Reisfelder oder wandern mit ihnen durch die wilde Karsthügellandschaft und lassen ihnen anschließend ein entspannendes Kräuterbad ein, denn die Dao verfügen seit jeher über ein spezielles medizinisches Wissen. Zwar haben sich die ehemaligen Bauern dem Tourismus angepasst, aber nur dadurch konnte das Dorf seinen traditionellen Charme bewahren. So wie auch die Fischerdörfer in der Lan-Ha-Bucht.
„Ich habe eine Vorliebe für asiatische Reiseziele. In Nordvietnam haben mich die überwältigende Landschaft und die freundlichen Menschen in den Bergdörfern beeindruckt.“
ARCD-Reiseservice Vietnam
Anreise
Ab Stuttgart fliegt z. B. Turkish Airlines über Istanbul nach Hanoi.
Einreise
Bei Aufenthalten bis maximal 45 Tagen genügt ein noch mindestens sechs Monate gültiger Reisepass.
Beste Reisezeit
in der Trockenzeit (März/April und Oktober/November) mit Tagestemperaturen von 24 bis 29 Grad Celsius
Unterkunft
Amira Hotel Hanoi, hübsche Balkonzimmer in der Altstadt; Yen Hidden Valley, strohgedeckte Bungalows in einem ruhigen Tal auf Cát-Bà-Island.
Weitere Infos
bei der Botschaft, www.vietnambotschaft.org, und auf www.vietnam.travel
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