Eine Fußgängerin überquert im Altersanzug einen Zebrastreifen.

Selbstversuch mit dem Altersanzug: Mobilität im Alter

3 min

26.09.2025Bettina Glaser

Wie fühlt es sich an, 80 Jahre alt zu sein? Mit dem Altersanzug GERT wagt Redakeurin Bettina Glaser den Selbstversuch – und erlebt, wie beschwerlich selbst einfache Wege im Straßenverkehr werden. Eine Reportage über Mobilität, Sicherheit und Rücksichtnahme im Alter.

 

Mithilfe der verschiedenen Bestandteile des Altersanzugs GERT verwandelt sich Redakteurin Bettina Glaser in eine Seniorin

Entdecken Sie die Bestandteile des Altersanzugs: Klicken oder fahren Sie mit der Maus über die markierten Bereiche im Bild.
Foto: jessica Blank


Mit dem Altersanzug GERT erlebe ich am eigenen Körper, wie sich Mobilität im Alter anfühlt – und welche Herausforderungen Verkehrssicherheit für Senioren bedeutet. Eine zehn Kilo schwere Jacke gepolstert mit zahlreichen kleinen Gewichtssäckchen, schwere Manschetten an Hand- und Fußgelenken, dazu Ellbogen- und Kniebandagen sowie Spezialhandschuhe – in wenigen Minuten hat meine Kollegin alle Einzelteile des Alterssimulationsanzugs mit dem Namen GERT an meinem Körper angebracht. Dann legt sie mir noch eine Halskrause, eine Spezialbrille und einen Gehörschutz an. Fertig! Damit soll ich nun 40 Jahre älter sein – sprich: über 80 Jahre. Schon beim Aufstehen wird mir klar: Der Unterschied ist gewaltig. Jeder Schritt ist mühsam, meine gewohnten Bewegungsabläufe wirken plötzlich schwerfällig, die Treppe hinunter- und wieder hinaufzusteigen gleicht einem Kraftakt. Ich stöhne. Meine Kollegin merkt trocken an: „Versuche mal, ein bisschen normaler zu laufen.“ Das ist leichter gesagt als getan. Kein Wunder, laut Anleitung des Anzugs verursacht das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten typische Einschränkungen der sensomotorischen Fähigkeiten im Alter. Die Liste meiner plötzlich neu erworbenen Defizite ist lang: Eintrübung der Augenlinse, Einengung des Gesichtsfelds, Einschränkung der Kopfbeweglichkeit, des Hör- und Greifvermögens, Gelenkversteifung, Kraftverlust und Beeinträchtigungen bei der Koordination. Und damit soll ich nun aktiv am Straßenverkehr teilnehmen? Kurz gerate ich ins Zweifeln. 

Um weder mich noch andere zu gefährden, greife ich zu Hilfsmitteln, wie sie auch andere Senioren suchen, um mobil zu bleiben. Und so organisiere ich mir für die Testfahrt mit dem Fahrrad zum Beispiel ein Pedelec mit tiefem Einstieg – undenkbar, mein eigenes Mountainbike mit hoher Stange dafür herzunehmen. Für die Probetour im Auto bitte ich einen Fahrlehrer, mich in seinem Fahrschulauto zu begleiten, bereit, jederzeit einzugreifen. Nur zu Fuß verzichte ich auf Hilfen – bis auf meine Kollegin natürlich, die ich sicherheitshalber mitnehme, auch wenn ich immer wieder nachfragen und sie bitten muss, lauter mit mir zu sprechen.

Zufußgehen im Alter: ein Risiko-Test im Straßenverkehr

Als erstes Testszenario wählen wir einen gut einsehbaren Zebrastreifen. Von hier aus sieht man die Autos normalerweise schon aus der Ferne anrollen. Die Fahrzeuge sausen mit 50 Stundenkilometern an mir als Fußgängerin vorüber. Am Zebrastreifen bleibe ich am Straßenrand stehen. Einzuschätzen, ob das herannahende grüne Auto anhält, fällt mir schwer. Normalerweise verlasse ich mich in solch einer Situation auf mein Gehör und nehme Blickkontakt zum Fahrer auf. Beides ist aufgrund meiner Altersausrüstung nicht möglich. Unsicher drehe ich meinen Körper nach links und rechts, denn der Kopf lässt sich nicht so wenden wie gewohnt. Ich zögere. Halten die Autos wirklich an? Noch einmal versuche ich, alle Verkehrsteilnehmer zu erfassen. Schließlich wage ich den Schritt auf die Fahrbahn in der Hoffnung, nichts übersehen zu haben. Langsamer als gewöhnlich. Innerlich steigt der Stress: Natürlich möchte ich die Autofahrer nicht unnötig lange warten lassen. Ich versuche mich zu beeilen, was mit den schweren Beinen und Armen mehr schlecht als recht gelingt. Erleichtert komme ich auf der anderen Seite an und bin froh, einen breiten Gehweg ohne Erhöhungen oder Hindernisse vorzufinden. Von hinten überholt mich ein Radfahrer, den ich nicht habe kommen hören. Kurz zucke ich zusammen. Es ist anstrengend, so unterwegs zu sein, aber möglich. Auf die Rücksichtnahme und Geduld der anderen Verkehrsteilnehmer bin ich angewiesen. An der Ampel überlege ich, ob ich die Straße noch überqueren kann oder sie schon bald wieder auf rot umspringt. Sicherheitshalber warte ich eine Ampelschaltung ab, um die längstmögliche Grünphase zu erwischen und einigermaßen entspannt die Straße überqueren zu können.

Fahrradfahren im Alter: Selbstversuch im Altersanzug

Als Nächstes folgt die Fahrt mit dem Fahrrad. Wir suchen uns eine abgelegene, wenig befahrene Straße am Rande eines Parks aus. Ein paar Passanten führen ihre Hunde Gassi. Das Pedal rücke ich an die richtige Stelle, um mir den Aufstieg zu erleichtern. Als der Fuß über den Einstieg gehoben ist, halte ich inne. Ungern möchte ich vom Fahrrad stürzen. Einen kurzen Moment komme ich ins Wanken. Doch glücklicherweise hilft der Antrieb des Pedelecs mit, das Fahrrad rollt los und ich bin wieder im Gleichgewicht. Die geringste Unterstützungsstufe genügt mir, genauso wie Geschwindigkeiten um die zehn Stundenkilometer. Schneller möchte ich nicht unterwegs sein, zu unsicher fühle ich mich auf diesem sonst von mir so geliebten Fortbewegungsmittel. Mit Übung wäre das womöglich anders. Vielleicht würde mir auch eine Rücktrittbremse helfen, besser zum Stehen zu kommen. Die steifen Handgelenke und Finger tun sich beim Bremsen nämlich schwer.

Autofahren im Alter: Grenzen der Verkehrssicherheit

Besonders viel Respekt habe ich vor der Autofahrt. Draußen ist alles grau und es regnet. Fahren unter erschwerten Bedingungen. Mein Fahrlehrer Marco Wiesner von der Fahrschule Wiesner in Bad Windsheim ist genauso gespannt wie ich. Beim Einsteigen erinnere ich mich daran, wie es meine Oma immer gemacht hat. Erst mit dem Po auf den Sitz, dann die Füße ins Innere hinterherziehen. Ich versichere mich noch einmal bei meinem Fahrlehrer, dass er jederzeit eingreifen kann. Das beruhigt mich ein bisschen. Die ersten Übungen machen wir auf einem großen Parkplatz. Die Gewichte an den Armen machen das Lenken und Schalten anstrengender. Ich beginne zu schwitzen. Vielleicht hätte ich doch lieber ein Auto mit Automatik statt eines mit Schaltung wählen sollen? Als ich etwas mehr Sicherheit mit meiner Ausrüstung habe, wagen wir uns in den Realverkehr. Beim Beschleunigen habe ich Schwierigkeiten, den richtigen Moment des Schaltens zu finden, da ich die Motorengeräusche nicht höre. Um auf die Drehzahlen zu schauen, bin ich viel zu sehr mit dem Straßenverkehr und damit, niemanden zu übersehen, beschäftigt. Gut, dass mein Fahrlehrer mir Rückmeldung gibt: „Vom Schalten her passt es“, sagt er und nimmt mir damit ein bisschen meine Bedenken. Noch mehr Unsicherheit verursacht bei mir allerdings die Sicht. Die Spezialbrille verzerrt Farben, steigert die Blendempfindlichkeit, schränkt mein Gesichtsfeld ein und lässt alles unscharf wirken. Entgegenkommende Fahrzeuge blenden mich, haben einen leuchtenden Ring um die Scheinwerfer. Die Kontraste schwinden, alles wirkt noch grauer als es an diesem tristen, grauen Tag sowieso schon ist. Nach einer Ampel biege ich ab. Ein Fußgänger quert mit einem Regenschirm in Regenbogenfarben die Straße. Im letzten Moment sehe ich ihn, bremse und lasse ihn über die Straße. Das war knapp. Fast hätte mein Fahrlehrer eingreifen müssen. 

Erschreckend, wie ich Autos ohne Licht, dunkel angezogene Fußgänger und Fahrradfahrer sowie dunkle Hunde kaum oder erst extrem spät wahrnehmen kann. Ich nehme mir fest vor, künftig wieder mehr auf helle Kleidung im Straßenverkehr zu achten. Einmal kommt mir ein Regenschirm allein entgegen. Erst später merke ich, dass zum hellen Regenschirm auch noch eine dunkel gekleidete Dame gehört. Oder ein Hund an der Leine, der für mich erst sichtbar ist, als ich schon fast vorbei bin. Hätte ich die Wahl, würde ich an solch einem regnerischen Tag mit meinen Einschränkungen besser nicht ins Auto steigen. Ich muss viel genauer schauen als sonst. Das strengt an. Immer wieder versichere ich mich bei meinem Fahrlehrer Marco Wiesner, dass ich auch wirklich nichts übersehen habe. Als ich rückwärts einparken soll, ärgere ich mich insgeheim über ihn, denn er lässt mich ausgerechnet neben einem dunkelgrauen Golf einparken, den ich nur schwer erfassen kann. Eigentlich hätte die Beeinträchtigung, dass ich meinen Kopf nur schwer drehen kann, für diese Aufgabe schon gereicht. Trotzdem schaffe ich es aufs zweite Mal, ordentlich in der Parklücke zu stehen. Die Fahrerfahrung gleicht meine Defizite aus. 

Überhaupt bin ich froh, dass ich die Strecke, die wir fahren, kenne. Dadurch kompensiere ich vieles, weiß, an welchen Stellen die Geschwindigkeit beschränkt ist, wo ich „rechts vor links“ berücksichtigen muss und wo welche Schilder stehen. Eins ist mir klar: Wenn ich bei dieser Wettersituation auch noch auf all diese Dinge achten müsste, wäre ich heillos überfordert. So aber wirkt mein Fahrlehrer zufrieden neben mir und mutet mir die nächste Aufgabe zu: eine Überlandfahrt.

Fahrschülerin im Altersanzug mit dem Fahrlehrer vor dem Fahrschulauto.
Redakteurin Bettina Glaser bekam von Fahrlehrer Marco Wiesner von der gleichnamigen Fahrschule wertvolle Tipps während der Fahrt mit dem Auto im Altersanzug.

Mobilität im Alter heißt Anpassung

Wie schon auf dem Fahrrad bereitet mir das Thema Geschwindigkeit Bauchschmerzen. Einerseits möchte ich keine Verkehrsbehinderung sein, andererseits fühle ich mich von der Geschwindigkeit überfordert. Mehr als 80 Stundenkilometer traue ich mich außerorts nicht zu fahren. Marco Wiesner bestärkt mich: „Es ist gut, wenn du die Geschwindigkeit an die Gegebenheiten anpasst. Und 80 Stundenkilometer ist für dieses Wetter für 80 Jahre auf jeden Fall in Ordnung.“ 

Am Ende der Fahrt sprechen wir über die Einschätzung meines Fahrlehrers. „Zweimal hast du etwas spät reagiert. Aber ansonsten war das für eine 80-Jährige eine gute Leistung“, bilanziert er. Schön, dass ich trotz meiner Beeinträchtigungen sicher unterwegs sein konnte. Marco Wiesner gibt mir mit auf den Weg, dass eine begleitete Fahrstunde älteren Menschen einen neutralen Blick von außen ermöglicht, um zu prüfen, ob sie noch sicher mit dem Auto unterwegs sind. 

 

Als ich die Gewichte abstreife und die Bandagen löse, spüre ich, wie Beweglichkeit und Sinne zurückkehren. Der Verkehr wirkt wieder vertraut, doch die Erfahrung im Altersanzug bleibt. Aus meinem Experiment gewinne ich viele Erkenntnisse. Jeder Schritt, jede Entscheidung im Straßenverkehr verlangt Konzentration, Geduld und Mut – für ältere Menschen Alltag. Der Selbstversuch hat mir die Augen geöffnet für die Herausforderungen, die Menschen mit mehr Lebenserfahrung täglich meistern, für die kleinen Hilfen, die Sicherheit bringen, und für die Rücksicht, die wir alle leisten können. Und eins ist klar: Mobilität im Alter ist möglich, wenn Wege, Hilfen und Aufmerksamkeit bewusst gestaltet werden.

 

Bettina Glaser.

„Ich war nach dem Selbstversuch mit dem Altersanzug im Auto, auf dem Fahrrad und zu Fuß mental und körperlich ziemlich erschöpft und habe viele Erkenntnisse zur Mobilität im Alter gewonnen. Meine Erfahrung im Altersanzug zeigt: Verkehrssicherheit für Senioren ist ein Gemeinschaftsprojekt. Ob beim Zufußgehen, Fahrradfahren oder Autofahren im Alterkleine Hilfen und mehr Rücksicht machen Mobilität im Alter sicherer.“

Bettina Glaser


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