Kulturhauptstadt Chemnitz: Zwischen Marx und Makerspace
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Mit Chemnitz trägt erst zum vierten Mal eine deutsche Stadt das Kulturhauptstadt-Label Europas. Warum es sich 2025 besonders lohnt, ins „sächsische Manchester“ zu fahren.
Das bekannteste Wahrzeichen der Stadt Chemnitz ist kein Schloss, keine Kirche, überhaupt kein richtiges Gebäude. Es ist schlicht ein Kopf: 40 Tonnen schwer, 7 Meter hoch, mit Sockel 13 Meter. Die zweitgrößte Porträtbüste der Welt. Sie zeigt Karl Marx. An der Fassade dahinter steht in vier Sprachen sein Satz aus dem Kommunistischen Manifest: „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“
Während der DDR-Zeit wurden hier Jubelfeiern abgehalten, heute wuseln um den mächtigen Kopf meist Schulklassen herum, denen ihre Lehrer erklären, was Sozialismus war. Der hat Chemnitz auch optisch geprägt, denn als die Innenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag, gab es reichlich Platz, um sie nach den Plänen des sozialistischen Städtebaus wieder zu errichten – mit Plattenbauten, Betonpalästen und breiten Straßen.
Einen neuen Namen bekam Chemnitz auch: Karl-Marx-Stadt. Und das, obwohl der Philosoph weder hier geboren noch je hier gewesen ist.
Architekturmix aus neu und alt
Was nicht heißen soll, dass vom alten Chemnitz nichts mehr steht – manches wurde vom Krieg verschont, anderes wieder aufgebaut. Da gibt es das Doppelrathaus aus dem 15. Und 20. Jahrhundert. Das Opernhaus, die St.-Petri-Kirche und das König-Albert-Museum am Theaterplatz. Außerdem nur 200 Meter vom dickköpfigen Marx entfernt den Roten Turm aus dem 12. Jahrhundert, das älteste noch erhaltene Gebäude der Stadt. Wenn manchem seine Form seltsam vertraut erscheint, dann zu Recht. Er stand Pate für die DDR-Spüliflasche Fit.
Anfang des 20. Jahrhunderts war Chemnitz eine der reichsten Städte Deutschlands.
Fabrikgebäude und Villenviertel
Chemnitz war früh wirtschaftliches Zentrum. 1357 erhielt es das Bleichprivileg, woraus sich viel Lohnendes rund um Textilien entwickelte. Um 1800 eröffnete die erste Fabrik, eine Baumwollspinnerei. Wegen der vielen rauchenden Schlote nannte man die Stadt auch sächsisches Manchester. Neben der Textilwirtschaft blühte die Konstruktion von Maschinen, sogar Lokomotiven wurden hergestellt. Das benachbarte Erzgebirge trug Bodenschätze bei. Anfang des 20. Jahrhunderts war Chemnitz eine der reichsten Städte Deutschlands.
Berühmte Architekten wurden verpflichtet, etwa Henry van de Velde für die bekannte Villa Esche des Strumpffabrikanten. Auf dem Kaßberg können Besucher eines der größten zusammenhängenden Gründerzeitviertel bestaunen. Die industrielle Geschäftigkeit hat selbstredend viele Fabrikareale hervorgebracht, von denen manche heute saniert sind, wie etwa die Schönherrfabrik, in der früher Webstühle hergestellt wurden, oder der Wirkbau, in dem Wirkmaschinen gefertigt wurden. Viel industrielles Erbe steht aber auch noch leer, wartet auf eine Zukunft.
Programm für Entdecker
Nach der Wende wurden viele Unternehmen abgewickelt und Menschen zogen weg. Chemnitz, wie es seit 1990 wieder heißt, verlor fast ein Viertel seiner Einwohner. Doch seit etwa 15 Jahren zieht die Stadt wieder konsequent Menschen an. 2025 ist sie Europäische Kulturhauptstadt – erst als vierte deutsche Stadt, nach Westberlin, Weimar und Essen. Ob sie das Label nutzen kann, um noch mehr Leute dauerhaft für sich zu interessieren? Jedenfalls erwartet man in diesem Jahr zwei Millionen Besucher. Es gibt 150 Projekte und über 1.000 Veranstaltungen.
Das Kulturhauptstadt-Motto heißt „C the Unseen“. Chemnitz, die große Unbekannte, wurde bisher oft übersehen neben der hippen Messestadt Leipzig oder dem barocken Dresden. Aber davon abgesehen geht es beim Motto um unbekannte Ecken in Chemnitz selbst. So feiert das Programm beispielsweise Garagen als soziale Orte. 30.000 wurden in der DDR-Zeit von Bürgern gebaut – eigentlich um den Trabi oder Wartburg gut zu schützen, auf den man so lange warten musste. Aber auch, um dort zu reparieren, zu werken und sich mit Nachbarn zu unterhalten.
An anderen, per se nicht kulturellen Orten, passiert ebenfalls viel. Einige der leer stehenden Fabrikareale werden hergerichtet. So entsteht in der ehemaligen Stadtreinigung ein Makerspace, im ehemaligen Straßenbahndepot ein riesiger Kulturort und in die Maschinenbauhalle der Hartmannfabrik ist das Besucherzentrum eingezogen. Doch das größte Projekt schickt die Neugierigen auf dem Purple Path hinaus in die Region. In 38 Gemeinden werden Kunstwerke auch internationaler Künstler gezeigt. C the Unseen kennt zumindest keine Stadtgrenzen.
ARCD-Reiseservice
Europäische Kulturhauptstädte 2025:
Neben Chemnitz mit der umliegenden Kulturhauptstadtregion trägt den Titel auch die slowenisch-italienische Stadt Nova Gorica/Gorizia. Es gibt viel Austausch und gemeinsame Projekte zwischen den beiden Kulturhauptstädten.
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